Wenn ich im persönlichen Gespräch anfange zu argumentieren, warum Homeoffice im Jahr 2020 überhaupt kein Hindernis mehr für effizientes Arbeiten ist, wird oft argumentiert „Jaja, bei euch in der IT geht das halt, bei uns ist das etwas anderes…“.
Ich frage mich: Warum tun sich viele Chef*innen so schwer damit, wenn ihre Mitarbeitenden im Homeoffice sind? Kontrollverlust? Fehlende Möglichkeiten als Chef präsent zu sein? Oder sogar Ahnungslosigkeit, wie Führungsverantwortung auf eine andere Art wahrgenommen werden kann?
Für mich persönlich zeichnet sich gute Führung darin aus, dass die Team-Arbeit funktioniert.
Dazu braucht es aus meiner Sicht:
• klären von Erwartungshaltungen
• gegenseitiges coachen (Rückmeldung geben, andere Perspektiven einbringen, einander zu Neuem inspirieren…)
• gemeinsames Lösen von Konflikten
• regelmässiger Austausch (brainstormen, Ideen weiterentwickeln, weiteres Vorgehen definieren etc.)
• gemeinsames Definieren von Zielen
• Vertrauen
Eine Kontrolle, ob ich morgens pünktlich im Büro bin und abends nicht zu früh nach Hause gehe, ist für mich keine Führung.
Holacracy erfordert ein hohes Mass an Eigenständigkeit und Verantwortungsbewusstsein. Jede Person erhält Rollen und dazugehörige Accountabilities. Dass die dazugehörigen Projekte und Aufgaben umgesetzt werden, liegt in der Verantwortlichkeit jedes/r Einzelnen (siehe auch Blogbeitrag Arbeiten ohne Hierarchien – so fühlt es sich an).Ein wichtiger Bestandteil sind die Tactical und Governance Meetings. Durch diese regelmässigen Sitzungen (bei uns oft 1 oder 2 wöchentlich) und das Prozessieren von Spannungen ist ein Grundmass an Kommunikation und damit das synchronisieren von Informationen untereinander sichergestellt. Dank der straffen Sitzungsstruktur und den Rollen Facilitator und Secretary spielt es absolut keine Rolle ob die Teilnehmenden vor Ort oder remote teilnehmen.
Projekte werden in unserem webbasierten Holacracy-Tool geführt und sind jederzeit von allen Mitarbeitenden einsehbar. Das gilt auch für Sitzungsprotokolle, Rollenbeschriebe, Kennzahlen…
Alles transparent.
Wie wirkt sich das aus in der Zusammenarbeit mit meinen Kolleginnen und Kollegen?
• Projekte, Aktivitäten, Metriken, Checklisten etc. werden kritisch hinterfragt
• Aktives Mitdenken aus der Perspektive anderer Rollen
• die Bereitschaft, Spannungen (z.B. Unklarheiten, Probleme oder Fragen) zielgerichtet während einer Sitzung aufzulösen
• Engagement, neue Projekte oder gar Rollen zu übernehmen
Warum also noch an alten Strukturen mit Hierarchien, wenigen Personen mit riesigen Führungsspannen und ewig langen Entscheidungswegen festhalten?
Während ich diesen Text schreibe, sitze ich allein im Homeoffice und bleibe realistisch:
Weder die durchdachteste Organisation noch die strukturierteste Sitzung oder das schönste Homeoffice können das Zwischenmenschliche ersetzen. Kreativmeetings, eine Partie am Flipperkasten, das Gespräch an der Kaffeemaschine oder das Zmittag mit den Kolleginnen und Kollegen. Und weil ich mir dessen ja bewusst bin, gehe ich auch ohne Präsenzpflicht, ganz freiwillig, regelmässig ins Büro.
Zwei Tage Büro, zwei Tage Homeoffice – das ist für mich aktuell ein guter Weg um Effizienz, Austausch, die Beziehung zu meinen Gspändli und die Corona-Situation unter einen Hut zu bringen.