Im muss zugeben, dass ich diesen langen Weg zu einer agilen Organisation vor mehr als drei Jahren auch ein bisschen eigennützig eingeschlagen habe. Ich erhoffte mir, dass die Last der Verantwortung auf meinen Schultern innert nützlicher Frist auf mehrere Schultern verteilt werden kann. Einmal mehr habe ich mir das ein bisschen zu einfach vorgestellt. Durch mehr Selbstführung und Selbstverantwortung ist es nicht per se gegeben, dass plötzlich mehr Schultern da sind, auf die Verantwortung abgewälzt werden kann.
Mittlerweile habe ich die Erfahrungen gemacht, dass die Verschiebung von Verantwortung ein langer Prozess ist, der nicht von einem Tag auf den anderen durchlaufen werden kann. Erst im Nachhinein habe ich verstanden, warum das so viel Zeit in Anspruch nimmt.
1. «Hier, nimm eine meiner verantwortungsvollen Rollen und mach!» funktioniert nicht!
Leadership und Verantwortungsbewusstsein muss gelehrt und antrainiert werden. Es braucht Förderung und Begleitung, damit Mitarbeitende eine Chance haben, sich in anspruchsvolle Rolle erfolgreich einzuleben.
2. Auf eine Warteschlange mit unterbeschäftigten Mitarbeitenden, die dir Verantwortung abnehmen wollen, kannst du lange warten!
Die Gesamtheit der anfallenden Aufgaben in einem Unternehmen wird mit der Einführung der Holokratie nicht kleiner. Durch Verschiebungen von Lasten entstehen Ungleichgewichte, die nach Ausgleich (Gleichgewicht) rufen. Das Problem der Überlast wird mit der Einführung der Holokratie nicht einfach behoben.
3. Nicht jeder sieht sich als Leader!
Es ist völlig legitim, dass etliche Engineers die Erfüllung im Berufsleben nicht in betriebswirtschaftlichen, strategischen oder Leadership Herausforderungen sehen. Viel mehr haben sie ihre beruflichen Herausforderungen bereits in technischen Rollen gefunden, die sie hervorragend ausfüllen. Es gibt somit weder einen unternehmerischen noch einen persönlichen Grund, diese Mitarbeitenden in Rollen zu zwängen, die die «Ex-Chefs» entlasten.
Frustrierend für mich war, dass im Gegenzug zu diesen Erkenntnissen in der Vergangenheit einige Mitarbeiter und Kollegen mehr oder weniger offen der Wunsch geäussert haben, dass ich doch endlich die «Macht» abgegeben und verteilen soll. Genau das wollte ich schon lange, blieb aber leider lange ohne Erfolg!
Zugegebenermassen etwas gereizt ist daher im Frühsommer nachfolgender Post entstanden:
Geschichten aus dem Hola-Kummerkästchen
Hallo Nexplore Team
Wir alle sind ja nun schon lange auf dem holprigen Weg zur agilen Organisation unterwegs. (…)
Nach der ganzen Corona Zeit weiss ich nicht so genau wie es euch da draussen wirklich geht, da ich zu einigen von euch weniger Kontakt hatte als in einer "normalen" Situation. (…)
Kurz zusammengefasst: Ich fühle mich aktuell wie ein Vater einer pubertierenden Organisation!
Warum?
Ich höre von allen Seiten:
Die Geschäftsleitung sitzt auf sämtlicher Verantwortung und kann und will nicht loslassen!
Ich kann nichts bewegen, weil sämtliche Macht immer noch bei der Geschäftsleitung ist!
Üerall dort wo ich etwas verändern will, ist einer aus der Geschäftsleitung und blockiert mich
Ich höre aber auch:
Dänu warum machst du nichts, merkst du nicht, dass etwas gehen muss und es nun unbedingt xyz braucht damit wir weiterkommen?
Dänu nun sprich doch mal ein Machtwort, bei uns entscheidet ja niemand mehr!
Meine Innere Stimme sagt mir:
Ich übernehme immer wie mehr Rollen oder Aufgaben anstelle, dass ich etwas abgeben kann.
Alle wollen mitreden. Aber, wenn es heikel ist, dann soll ich dann das Problem lösen.
Warum entlasten mich all die Mitarbeitenden nicht mehr?
Ich habe etliche Rollen, die ich abgeben möchte, aber niemand will sich dem annehmen.
Und wie fühle ich mich in diesem Spiel?
Ich kann nur verlieren, ob ich nun Probleme angehe oder nicht, falsch ist es bestimmt. Entweder hänge ich den Chef raus oder ich verletzte meine Pflicht, dass es unserer Organisation durchwegs gut geht (personell & finanziell).
Nun ja, und dazu kommt, dass ich mir wünschen würde, dass ich endlich Entlastung spüre, Verantwortung abgeben könnte und wieder etwas mehr Zeit für mich und meine Familie hätte.
Was ist die Lösung, die ich nun verfolge:
Wir schauen uns auf dem Arbeitsmarkt um und verstärken uns mit neuen Mitarbeitenden, die mit leerem Verantwortungsrucksack bei uns anfangen können. Sich nach neuen Aufgaben und Themen mit viel Verantwortung sehnen. Selbstverständlich aber auch, dass sie in einer holokratischen Organisation arbeiten möchten.
Wohlverstanden: ich will absolut keine neuen, klassischen Chefs einstellen, sondern suche nach Persönlichkeiten mit viel Leadership die mich und meine Ex GL-Kollegen innert nützlicher Frist entlasten.
Dänu
in der Rolle als "Reflektor agile Organisation", "Personallead" aber auch einfach als "Mensch"
Dieser Post hat bewirkt, dass ich einige meiner Rollen doch noch intern weitergeben konnte.
Noch wichtiger aber war, dass hoffentlich der gesamten Organisation klar geworden ist, dass ich mich nach Entlastung sehnte. Inzwischen war ich mir auch klar darüber geworden, dass eine Entlastung in vernünftiger Frist nur mit der Schaffung einer neuen Stelle erfolgen konnte. Heute bin ich sehr froh, dass ich diese Einsicht weiterverfolgt habe und mit der Anstellung von Oliver Blindenbacher auch umsetzen konnte. Mit Oliver habe ich eine bereits jetzt schon merkliche Entlastung erhalten.
Eigentlich wäre es ja so einfach: Wenn über lange Zeit Überlast für bestimmte Arbeiten anfallen, muss rekrutiert werden. Diese Regel gilt für alle Rollen, auch für betriebswirtschaftliche, strategische oder Leadership Herausforderungen.
Aber auch mit der Besetzung dieser neuen Stelle existieren immer noch einige Engpässe in verantwortungsvollen Rollen, die viel Leadership benötigen. Interne Förderprogramme und die Optimierung der Rollen und Kreisstruktur bleiben nach wie vor ein wichtiges Thema.